Dülmen 1930-1960

Im Rahmen einer Lehrveranstaltung am Historischen Seminar der Universität Münster führte eine Grup­pe von Studierenden Zeitzeugengespräche zur Nachkriegsgeschichte Dülmens durch. Der zeitliche Schwerpunkt der Ge­spräche behandelte den Zeitraum zwischen 1945 und 1960. Der „Aufhänger“ für die Gespräche mit den Dülmener Bürgerinnen und Bürgern war die Frage nach ihren Alltagserfahrungen in der Nachkriegszeit bis in die sechziger Jahre. Doch von diesem Kerninteresse ausgehend entwickelten sich die Gespräche rasch zu lebensgeschichtlichen Interviews mit einem großen erzählerischen Anteil der Zeitzeugen: Jede Geschichte besaß ihre Vorgeschichte, und ebenso hatten die Einstellungen und Mentalitäten der Zeitzeugen vielfach ihre Ursache in Herkunft und Sozialisation. Nunmehr bilden die dreißiger Jahre den Beginn der ausgewählten Interviewpassagen, Jahre, in denen die meisten der 21 interviewten Zeitzeugen der Jahrgänge 1914 bis 1946 ihre Kindheit und Jugend verbrachten, prägende Jahre zwischen wirtschaftlicher Depression und nationalsozialistischer Diktatur einerseits und kindlicher Unbefangenheit andererseits. So stellten die umfassende Zerstörung der Stadt und der gesellschaftliche und staatliche Zusammenbruch der NS-Herrschaft zwischen März und Mai 1945 Tief- und Wendepunkt in den meisten Dülmener Biographien dar. Ebenso wie sich die Stadtgeschichte mit der Zäsur 1945 gleichsam zweiteilt, so begann auch für die Überlebenden der Kriegskatastrophe – ganz gleich ob als eingesessene oder „zugereiste“ Dülmener – ein neues Leben mit vielfach ungewissen Vorzeichen.

Die Phase des Neubeginns, des Wiederaufbaus sowie der persönlichen und sozialen Konsoldierung endete mit den ausgehenden fünfziger Jahren, als im Ergebnis des „Wirtschaftswunders“ moderne Lebensstile und Konsummuster die deutsche Wohlstandsgesellschaft und ihre parlamentarisch-demokratische Grundlagen wie selbstverständlich zu kennzeichnen begannen. Bevor sich in der zweiten Hälfte der sechziger Jahre der wirtschaftliche Strukturwandel auch auf Dülmen und das Münsterland mit Zechensterben und dem Niedergang der Textilindustrie niederschlug, schien eine Gewöhnung an die stetige wirtschaftliche Aufwärtsentwicklung stattgefunden zu haben. So konstatierte zwar der Stadtdirektor für das Jahr 1965 ein unvermindertes städtisches Wachstum, konnte dabei aber nicht auf herausragende Ereignisse im vertrauten Aufschwungsprozeß hinweisen. – Die sechziger Jahre, in denen auch die meisten hier befragten Zeitzeugen in ihren „besten“ Jahren waren, in denen sie beruflich wie privat gesichert und erfolgreich waren, beschließen daher die Dokumentation unserer Interviews: Die Lebenswege in den und aus dem krisenhaften Höhepunkt des Jahres 1945 erscheinen damit gleichermaßen und von beiden Seiten umrissen.

Dennoch gilt es festzuhalten, daß die Erinnerung stets dem Zeitpunkt ihrer Entstehung, also dem Heute, angehört und nicht dem Gestern, an das man sich erinnert. Über die Brüche und Wandlungsprozesse hinweg ist ein lebensgeschichtliches Kontinuitätsgebot für die Stützung der eigenen Identität des Menschen vor sich selbst wie vor der Gesellschaft notwendig. So dienen aber Lebenserinnerungen immer auch der Selbstvergewisserung, sind damit nie nur Erzählung, sondern immer auch Argumentation.

Aus den aufgezeichneten, umfangreichen Interviews wurden einzelne Passagen – anonymisiert – für das Buch „Dülmen – Lebensgeschichten und Alltag 1930-1960“ ausgewählt und thematisch zusammengestellt.

Inhaltsverzeichnis

Vorwort

1. Dülmener und ihre Heimat

2. Schülerleben – Von der Prügelstrafe zur Koedukation

3. Lehrjahre sind keine Herrenjahre

4. Apokalypse – Zerstörung und Evakuierung der Stadt

5. Wahrnehmungen des „Fremden“

6. Zusammenbruch- und Überlebensgesellschaft

7. Vom Picken und Placken: Wiederaufbaumentalitäten

8. Das Kreuz mit dem Kreuz: Religiosität, Kirche und Familie

9. Wohlstandsbürger? Konsum, Lebensstil und Freizeit

Biographische Hinweise zu den Zeitzeugen

Literatur- und Quellenverzeichnis

duelmenInfo:

Jens Murken u.a.:
Dülmen – Lebensgeschichten und Alltag 1930-1960.
(Reihe „Erzählte Geschichte“)
1. Auflage, Sutton Verlag, Erfurt 2000.
128 Seiten. Zahlreiche Illustrationen und graphische Darstellungen. 23 x 17 cm. Kartoniert.

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